Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 19-25

Vorträge über das Organon der Heilkunst - Zum Verständnis des § 19-25

Author: 
Manish Bhatia

Die Kenntnis von den Arzneimitteln

Wissen Sie noch, was ich in meinem Vortrag zum dritten Paragrafen sagte? Erinnern wir uns ein wenig. Im § 3 heißt es:

Sieht der Arzt deutlich ein, was an Krankheiten, das ist, was an jedem einzelnen Krankheitsfalle insbesondere zu heilen ist (Krankheits-Erkenntniß, Indication), sieht er deutlich ein, was an den Arzneien, das ist, an jeder Arznei insbesondere, das Heilende ist (Kenntniß der Arzneikräfte), und weiß er nach deutlichen Gründen das Heilende der Arzneien dem, was er an dem Kranken unbezweifelt Krankhaftes erkannt hat, so anzupassen, daß Genesung erfolgen muß, ...

Im ersten Paragrafen diskutierten wir die Mission eines Arztes, im Zweiten das höchste Ideal der Heilung, und im Dritten, welches Wissen ein Arzt besitzen muss, um eine Heilung zu bewirken. Von § 4 bis § 18 besprachen wir die erste Notwendigkeit – das Wissen von „was bei Erkrankungen geheilt werden muss“. Wenn Sie sich erinnern, sprach Hahnemann in diesen Paragrafen von der Bedeutung der Symptome und wie sie das innere Wesen der Krankheit reflektieren. Die §§ 19 bis 34 legen die zweite Kategorie des Wissens näher dar, in der es darum geht, ‚was an Arzneien heilend wirkt’. Und von §§ 35 bis 69 werden wir besprechen, wie wir unser medizinisches Wissen anpassen, um kranke Patienten zu heilen.

Um zu verstehen, ‘was an Arzneien heilend wirkt’, werden wir die §§ 19 bis 34 untersuchen und zu verstehen versuchen, was Hahnemann über die Findung der arzneilichen Heilwirkung sagte. Wir werden dies in 3 Teilen tun:

1. Verständnis für die Heilkräfte einer Arznei (§§19-25)

2. Das Naturgesetz der Heilung (§§26-27)

3. Verständnis dafür, weshalb wir in krankem Zustand verstärkt auf Arzneien reagieren. (§§28-34)

Die Heilkraft der Arznei

Hahnemann besprach die Heilkräfte unserer Arzneien in den §§ 19 bis 25. Im §19 sagt er, dass Krankheit nichts als ein veränderter Gesundheitszustand sei, und um eine Heilung zu bewirken, müssen wir den Krankheitszustand zurück zur gesunden Verfassung überführen. Also müssen die Arzneien die Kraft besitzen, unseren Gesundheitszustand zu verändern, und tatsächlich entstehen ihre Heilkräfte einzig und allein aus ihrer Fähigkeit, unseren Gesundheitszustand zu beeinflussen. Lassen Sie uns nun diesen Paragrafen lesen. Er besagt:

19 - Indem nun die Krankheiten nichts als Befindens-Veränderungen des Gesunden sind, die sich durch Krankheits-Zeichen ausdrücken, und die Heilung ebenfalls nur durch Befindensveränderung des Kranken in den gesunden Zustand möglich ist, so sieht man leicht, daß die Arzneien auf keine Weise Krankheiten würden heilen können, wenn sie nicht die Kraft besäßen, das auf Gefühlen und Thätigkeiten beruhende Menschenbefinden umzustimmen, ja, daß einzig auf dieser ihrer Kraft, Menschenbefinden umzuändern, ihre Heilkraft beruhen müsse.

Der Paragraf erscheint allzu simpel, aber er legt die erste Charakteristik einer Arznei dar – sie sollte nicht reaktionsträge, inert sein. Sie muss das Potenzial besitzen, die Gesundheit eines Lebewesens zu verändern. Jetzt werden manche behaupten, dass viele homöopathische Arzneien aus reaktionsträgen Substanzen wie Lycopodium und Kieselerde gewonnen werden. Das Ausgangsmaterial für diese Arzneien mögen träge sein, aber die Form, in der sie angewendet werden (potenziert), ist nicht mehr inert. Wie kraftvoll die Wirkung dieser Arzneien sein kann, kann nur durch die Erfahrung erlernt werden.

Ich möchte hier einen kleinen Zwischenfall schildern. Ich ergraute nach einem Typhusanfall im Alter von zehn Jahren frühzeitig. Als ich im ersten Jahr meines Medizinstudiums steckte, las ich, dass Lycopodium bei verfrühtem Ergrauen der Haare indiziert sei. Ohne darüber nachzudenken, nahm ich eine Gabe Lycopodium C1000. Einige Tage später bekam ich ein Gefühl, als ob sich in meiner rechten Leistenregion eine Schwellung befinden würde. Mir wurde bange bei dem Gedanken, dass es sich um einen Leistenbruch handeln könnte. Ich kontrollierte regelmäßig diesen Bereich, wiederholte regelmäßig den Hustenstoßtest, aber die Schwellung war niemals vorhanden. Aber die Empfindung war permanent da! Später wurde mir klar, dass ich Lycopodium prüfte und es dauerte ein ganzes Jahr, bis diese Empfindung wieder verschwunden war. Dies war meine erste Lektion über das Verständnis der Kraft potenzierter Arzneimittel und ihre Fähigkeiten, den Gesundheitszustand eines Menschen zu verändern!

Nun zurück zum Paragrafen. Die Form, in der wir arzneiliche Substanzen zu verwenden gedenken, sollte nicht die inerte sein. Sie sollte die Kraft besitzen, den Gesundheitszustand eines Menschen zu verändern.

Lassen Sie uns jetzt zum nächsten Paragrafen kommen, in dem es heißt:

20 - Diese im innern Wesen der Arzneien verborgene, geistartige Kraft, Menschenbefinden umzuändern und daher Krankheiten zu heilen, ist an sich auf keine Weise mit bloßer Verstandes-Anstrengung erkennbar; bloß durch ihre Aeußerungen beim Einwirken auf das Befinden der Menschen, läßt sie sich in der Erfahrung, und zwar deutlich wahrnehmen.

Nachdem er nun aussagte, dass eine Arznei die Kraft entfalten können muss, unsere Gesundheit zu verändern, sagt uns Hahnemann, wie man die medizinischen Kräfte einer Substanz identifizieren oder entdecken kann. Er sagt, wir können die Wirksamkeit einer Arznei nur über ihre Wirkung auf den menschlichen Körper herausfinden. Wir müssen lernen, wie eine Arznei den Gesundheitszustand verändert, um ihren Wirkbereich verstehen zu können. Er sagt weiter, dass die Arzneikräfte, die den Zustand des Menschen verändern, ‚geistartig’ sind. Auch hier steht geistartig für etwas Unsichtbares, und es hat keinen religiösen oder spirituellen Bezug. Die ersten beiden Zeilen dieses Paragrafen zielen übrigens auf Hahnemanns zeitgenössische Schulmediziner, die gewöhnlich die medizinische Wirkung von verschiedenen Substanzen beteuerten, ohne diese wirklich auszutesten. Solchen Leuten teilte Hahnemann mit, dass die medizinischen Eigenschaften einer Substanz in ihrem Inneren verborgen sind, sie können nicht gesehen werden, indem man die Substanz untersucht oder indem man theoretische Vermutungen äußert. Der einzige Weg, um die Heilkräfte einer Substanz zu entdecken, ist, wenn man die Wirkung auf den menschlichen Körper herausfindet.

Jetzt, im nächsten Paragrafen, dem 21., fährt Hahnemann weiter fort und teilt uns mit, dass die Wirkung, die die medizinische Substanz auf unseren Körper ausübt, durch die Zeichen und Symptome, die sie produzieren, wahrgenommen werden kann. Lassen Sie uns lesen, was er schrieb:

21 - Da nun, was niemand läugnen kann, das heilende Wesen in Arzneien nicht an sich erkennbar ist und bei reinen Versuchen, selbst vom scharfsinnigsten Beobachter, an Arzneien sonst nichts, was sie zu Arzneien oder Heilmitteln machen könnte, wahrgenommen werden kann, als jene Kraft, im menschlichen Körper deutliche Veränderungen seines Befindens hervorzubringen, besonders aber den gesunden Menschen in seinem Befinden umzustimmen und mehre, bestimmte Krankheitssymptome in und an demselben zu erregen, so folgt: daß wenn die Arzneien als Heilmittel wirken, sie ebenfalls nur durch diese ihre Kraft Menschenbefinden mittels Erzeugung eigenthümlicher Symptome umzustimmen, ihr Heilvermögen in Ausübung bringen können, und daß wir uns daher nur an die krankhaften Zufälle, die die Arzneien im gesunden Körper erzeugen, als an die einzig mögliche Offenbarung ihrer inwohnenden Heilkraft, zu halten haben, um zu erfahren, welche Krankheits-Erzeugungskraft jede einzelne Arznei, das ist zugleich, welche Krankheits- Heilungskraft jede besitze.

Hier wiederholt er zunächst, was er im vorangegangenen Paragrafen ausgesagt hat, dass nämlich die medizinische Kraft einer Substanz ihr Potenzial ist, den Gesundheitszustand zu verändern. Hier wird es jetzt interessant. Er stellt weiter klar, „besonders am gesunden Menschen“. Diese Klarstellung ist sehr bedeutend. Um ihren therapeutischen Bereich herauszufinden, werden die konventionellen Medikamente häufig am Kranken getestet. Und in solchen Versuchen enthüllen Medikamente häufig nicht ihre volle Wirkung auf den menschlichen Körper, weil der kranke Körper bereits in einem beeinträchtigten Zustand arbeitet. Daher betont er, dass die Veränderungen, die sich an einem gesunden Körper entwickeln am nützlichsten sind, um den therapeutischen Bereich einer Arznei herauszufinden. Der Punkt, der sich hier anmerken lässt, ist der, dass er das Wort ‚besonders’ und nicht ‚nur’ oder ‚ausschließlich’ verwendete. Dies lässt darauf schließen, dass, während die Prüfungssymptome am Wichtigsten sind, die klinischen Symptome auch von gewisser Bedeutung sein können.

Was er hier ebenfalls sagte, ist, dass die Arzneimittel wegen ihrer Fähigkeit, ähnliche Symptome zu entwickeln, in der Lage sind zu heilen. Das ist jetzt, theoretisch gesprochen, eine logische Folge, eine Art Annahme ähnlich wie:

A=C und B=C daher A=B

(Arzneimittel ‘A’ entwickelt ‘C’-Symptome. Krankheit ‘B’ entwickelt ‘C’-Symptome. Daher entfernen Arzneimittel ‘A’ ‘C’-Symptome der Krankheit ‘B’.)

Wäre dies nur rein theoretisch so entwickelt worden, dann hätte dies versagt oder hätte weitere Kritik geerntet. Aber Hahnemann schrieb aus seiner Erfahrung heraus. Er hatte Arzneimittel mit bekannter therapeutischer Wirkung geprüft (wie die Quecksilber- und Silbersalze, Borax, China, usw.), und hatte beobachtet, dass die Arzneien häufig Symptome am Gesunden entwickeln, von denen man weiß, dass sie diese am Kranken heilen. Daher war die eben beschriebene Konstruktion so etwa rückwärts entwickelt:

Arzneimittel ‘A’ heilt Krankheit ‘B’. Krankheit ‚B’ entwickelt ‚C’-Symptome. Arzneimittel ‚A’ entwickelt also ‚C’-Symptome. Daher muss die Fähigkeit des Arzneimittels ‚A’, ‚C’-Symptome entwickeln zu können, die Eigenschaft sein, die ihr hilft, um Krankheit ‚B’ zu heilen.

Jetzt sagt er uns im nächsten Paragrafen, wie diese Fähigkeit, Symptome zu entwickeln, hilft, Symptome zu entfernen oder zu heilen, und welche Art von Arznei wir auswählen müssen, um Kranke zu behandeln. Lassen Sie uns den Paragrafen lesen!

22 - Indem aber an Krankheiten nichts aufzuweisen ist, was an ihnen hinwegzunehmen wäre, um sie in Gesundheit zu verwandeln, als der Inbegriff ihrer Zeichen und Symptome, und auch die Arzneien nichts Heilkräftiges aufweisen können, als ihre Neigung, Krankheits-Symptome bei Gesunden zu erzeugen und am Kranken hinwegzunehmen, so folgt auf der einen Seite, daß Arzneien nur dadurch zu Heilmitteln werden und Krankheiten zu vernichten im Stande sind, daß das Arzneimittel durch Erregung gewisser Zufälle und Symptome, das ist, durch Erzeugung eines gewissen künstlichen Krankheits-Zustandes die schon vorhandnen Symptome, nämlich den zu heilenden, natürlichen Krankheitszustand, aufhebt und vertilgt, - auf der andern Seite hingegen folgt, daß für den Inbegriff der Symptome der zu heilenden Krankheit diejenige Arznei gesucht werden müsse, welche (je nachdem die Erfahrung zeigt, ob die Krankheitssymptome durch ähnliche oder durch entgegengesetzte Arznei-Symptome1 am leichtesten, gewissesten und dauerhaftesten aufzuheben und in Gesundheit zu verwandeln sind) ähnliche oder entgegengesetzte Symptome zu erzeugen, die meiste Neigung bewiesen hat.

1 Die außer diesen beiden noch mögliche Anwendungsart der Arzneien gegen Krankheiten ist die allöopathische Methode, wo Arzneien, deren Symptome keine direkte, pathische Beziehung auf den Krankheitszustand haben, also den Krankheitssymptomen weder ähnlich noch opponirt, sondern ganz heterogen sind, verordnet werden. Diese Verfahrungsweise treibt, wie ich schon anderswo gezeigt, ein unverantwortliches, mörderisches Spiel mit dem Leben des Kranken, mittels gefährlich heftiger, nach ihren Wirkungen ungekannter Arzneien, auf leere Vermuthungen hin, in großen, öfteren Gaben gereicht; sodann mittels schmerzhafter, die Krankheit auf andere Stellen hinleiten sollender Operationen, mittels Minderung der Kräfte und Säfte des Kranken durch Ausleerungen von Oben und Unten, Schweiß oder Speichelfluß; besonders aber durch Verschwendung des unersetzlichen Blutes, wie es die eben herrschende Routine haben will, blindhin und schonungslos angewendet, gewöhnlich unter dem Vorwande, als müsse der Arzt die kranke Natur in ihren Bestrebungen sich zu helfen, nachahmen und sie befördern, ohne zu bedenken, wie unverständig es sei, diese höchst unvollkommnen, meist zweckwidrigen Bestrebungen der bloß instinktartigen, verstandlosen Lebenskraft nachahmen und sie befördern zu wollen, welche unserm Organism nur anerschaffen ward, um, solange dieser gesund ist, unser Leben in harmonischem Gange fortzuführen, nicht aber, um in Krankheiten sich selbst zu heilen. Denn besäße sie hiezu eine musterhafte Fähigkeit, so würde sie den Organism gar nicht haben krank werden lassen.

Von Schädlichkeiten erkrankt, vermag unsere Lebenskraft nichts anderes, als ihre Verstimmung durch Störung des guten Lebens-Ganges des Organism's und durch Leidens-Gefühle auszudrücken, womit sie den verständigen Arzt um Hülfe anruft, und wenn diese nicht erscheint, so strebt sie durch Erhöhung der Leiden, vorzüglich aber durch heftige Ausleerungen sich zu retten, es koste, was es wolle, oft mit den größten Aufopferungen, oder unter Zerstörung des Lebens selbst. Zum Heilen besitzt die krankhafte verstimmte Lebenskraft so wenig nachahmenswerte Fähigkeit, daß alle von ihr im Organism erzeugten Befindens- Veränderungen und Symptome ja eben die Krankheit selbst sind! Welcher verständige Arzt wollte sie wohl im Heilen nachahmen, wenn er nicht seinen Kranken aufopfern will?

Der 22. Paragraf legt zwei grundsätzliche Dinge dar. Erstens, wenn eine Erkrankung durch Zeichen und Symptome deutlich wird und die einzige sichtbare Wirkung von Arzneien auf den Menschen ihre Fähigkeit ist, Symptome zu erzeugen, dann kann man daraus ableiten, dass es die Fähigkeit der Arznei ist, Symptome zu erzeugen, was den Kranken heilt.

Die Symptome, die eine Arznei sich entwickeln lassen kann, könnten jetzt ähnlich oder entgegengesetzt zu den Symptomen der Krankheit sein. Das Zweite, was Hahnemann sagt, ist, dass ein Arzneimittel gewählt werden muss, das die stärkste Tendenz dafür hat, ähnliche oder entgegengesetzte Symptome zu entwickeln. Er sagt weiterhin, dass es uns die Erfahrung lehren wird, ob es die Arzneien sind, die ähnliche Symptome entwickeln, welche rasch und permanent heilen, oder ob die Arzneien, die entgegengesetzte Symptome entwickeln, die Effektiveren sind, um für eine rasche und dauerhafte Heilung zu sorgen.

Ich denke, die Zeit hat es uns gelehrt, dass die konventionelle Medizin nicht dazu in der Lage ist, die Krankheit zu heilen. Die antipathische Art und Weise kann Symptome nur lindern oder unterdrücken. Daher haben wir so viele ‚Anti-’Dinge in der konventionellen Medizin – Antibiotika, blutdrucksenkende Mittel (Anti-Hypertensives), Antipyretika usw.

In einer langen Fußnote zu § 22 bespricht Hahnemann eine dritte Behandlungsform, die er ‚allopathisch’ nannte. Die Anwendung von Arzneien, die eine ähnliche Wirkung haben, wurde Homöopathie genannt und die Anwendung von Arzneien, die die gegenteilige Wirkung aufweisen, Antipathie. Die Anwendung von Arzneien, die weder ähnliche noch gegenseitige Wirkungen aufweisen, nannte man Allopathie. Die konventionelle Medizin seiner Zeit war voller solcher Methoden und Arzneien, wie die Verwendung von Diuretika, schweißtreibenden Mitteln, Abführmitteln und Anwendungen wie Aderlass für fast alle erdenklichen Erkrankungen. Hahnemann stellte sich vehement gegen solche nicht erprobte Methoden und er nannte deren Anwendung sogar ‚mörderisch’.

Sogar heute noch ist die konventionelle Medizin in weiten Teilen der Erde als ‘Allopathie’ bekannt. Aber die heutige konventionelle Medizin ist in erster Linie antipathisch. Es gibt heute keine getrennte antipathische Schule mehr. Die Antipathie und die Allopathie sind ineinander zu einer Einheit verschmolzen, die heute entweder Allopathie oder konventionelle Medizin genannt wird.

Wenn Sie die Fußnote sorgfältiger lesen, dann werden Sie eine weitere wichtige Sache beobachten. Hahnemann sagt: “Von Schädlichkeiten erkrankt, vermag unsere Lebenskraft nichts anderes, als ihre Verstimmung durch Störung des guten Lebens-Ganges des Organism's und durch Leidens-Gefühle auszudrücken, ...”

Das bedeutet (und es ist auch sehr offensichtlich), dass bei Krankheit unsere Lebenskraft, unser Lebensprinzip oder unser thermodynamisches Energiesystem unterdrückt ist. Er sagt weiterhin, dass die Verwendung von allopathischen Arzneien die Vitalität weiter schwächt. Das ist etwas, was sie sogar heute noch sehr leicht beobachten können. Die Erfahrung von Energiearmut, gestörtem Geschmackssinn und Verdauungsstörungen nach einem Zyklus Antibiotika gegen irgendeine akute Erkrankung ist so sehr verbreitet. Die Infektion vergeht, aber der Körper fühlt sich nicht gesund und es dauert oft viele weitere Tage und manchmal Wochen, bis der Körper seine alte Vitalität wiedergewonnen hat. Vergleichen Sie dies mit den homöopathischen Arzneien, bei denen wir als erstes Heilungsanzeichen nach einer Veränderung der Vitalität suchen und diese auch bemerken!

Im nächsten Paragrafen sagt Hahnemann, die Erfahrung habe gezeigt, dass Arzneien, die gegenteilige Symptome erzeugen, für gewöhnlich nicht dauerhaft heilen. Tatsächlich kehren sie mit größerer Intensität wieder, wenn sie mit antipathischen Arzneimitteln gelindert worden waren. Versuchen Sie, das Schmerzmittel bei einem Arthritis-Patienten abzusetzen, oder das blutdrucksenkende Mittel bei einem Bluthochdruck-Patienten und beobachten Sie, wie der Schmerz und der Blutdruck in die Höhe schnellen. Lassen Sie uns den § 23 einmal lesen. Er besagt:

23 - Es überzeugt uns aber jede reine Erfahrung und jeder genaue Versuch, daß von entgegengesetzten Symptomen der Arznei (in der antipathischen, enantiopathischen oder palliativen Methode) anhaltende Krankheitssymptome so wenig aufgehoben und vernichtet werden, daß sie vielmehr, nach kurzdauernder, scheinbarer Linderung, dann nur in desto verstärkterem Grade wieder hervorbrechen und sich offenbar verschlimmern (siehe §. 58-62 und 69).

Wir haben bereits die Essenz dieses Paragrafen besprochen, aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Verwendung der Worte „anhaltende Krankheitssymptome“ lenken. Das ist insofern bedeutend, weil Hahnemann klar aussagt, dass die antipathische Methode immer versagt, wenn es um die Heilung dauerhafter Symptome geht, also um chronische Krankheiten. Wenn allopathische Arzneien angewendet werden, dann bleiben die Symptome von chronischen Krankheiten oft bestehen, oder sie kehren nach einer anfänglichen Besserung wieder zurück, das trifft aber nicht für akute Krankheiten zu. Bei akuten Krankheiten wird die Krankheitsursache, die oft eine Infektionsart ist, häufig durch antipathische Maßnahmen weggenommen und sie werden keinen Rückfall erleben, wenn der Patient keine außerordentlich geringe Vitalität aufweist oder die akute Krankheit nicht die akute Verschlimmerung der zugrundeliegenden chronischen Beschwerde ist. Deshalb sehen wir bei Durchfall oder Fieber nach der Antibiotikabehandlung oftmals keinen Rückfall. Nehmen sie jetzt aber nicht an, dass die antipathische Art und Weise gut zur Behandlung von akuten Zuständen geeignet ist. Wir werden bei Akuterkrankungen oft kein Rückfallphänomen erleben, wir werden aber häufig eine geschwächte Vitalität vorfinden, so wie im letzten Paragrafen gesehen. Wir werden auch eine gesteigerte Empfindlichkeit, vermehrt Unterdrückungen und eine verstärkte Tendenz für chronische Krankheiten vorfinden. Als die moderne Medizin noch nicht ‚modern’ genug war, bestanden Epidemien für gewöhnlich aus akuten Erkrankungen, aber mit dem Beginn all dieser Anti-Medikamente mögen zwar die akuten Krankheiten und Epidemien zurückgegangen sein, aber die chronischen Krankheiten sind geradezu in pandemischen Proportionen explodiert. So vermag die antipathische Art und Weise gelegentlich hilfreich zu sein, aber sie sollte bei den meisten Zuständen nicht die bevorzugte Behandlungsmethode sein.

Im nächsten Paragrafen zieht Hahnemann den Schluss, dass nur ein ähnliches Arzneimittel eine Heilung bewirken kann. Lassen Sie uns lesen, was er schreibt:

24 - Es bleibt daher keine andere, Hülfe versprechende Anwendungsart der Arzneien gegen Krankheiten übrig, als die homöopathische, vermöge deren gegen die Gesammtheit der Symptome des Krankheitsfalles unter Hinsicht auf die Entstehungs-Ursache, wenn sie bekannt ist, und auf die Neben-Umstände, eine Arznei gesucht wird, welche unter allen (durch ihre, in gesunden Menschen bewiesenen, Befindensveränderungen gekannten) Arzneien den, dem Krankheitsfalle ähnlichsten, künstlichen Krankheits-Zustand zu erzeugen Kraft und Neigung hat.

In § 22 erklärte Hahnemann, dass nur solche Arzneimittel verwendet werden dürfen, die eine bekannte ähnliche oder gegenteilige Wirkung zum Krankheitszustand haben. In § 23 offenbart er dann das Versagen der antipathischen Methode bei der Behandlung chronischer Fälle. In diesem Paragrafen nun legt er seine Schlussfolgerung dar, dass die einzig akzeptable Art und Weise, Arzneien am Kranken anzuwenden, die Homöopathische ist. Und nur diejenigen Arzneimittel sollten angewendet werden, deren Wirkung durch Versuche am gesunden Menschen dokumentiert wurde.

Abgesehen davon möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Aussage Hahnemanns lenken, die er in diesem Paragrafen gemacht hat. Er verwendete hier zwei Mal das Wort „Krankheitsfall“. Das ist insofern bedeutend, weil es uns viele moderne Lehrer beibringen, Krankheitsklassifikationen zu ignorieren, während man sich gänzlich auf die mentalen und emotionalen Symptome, oder die eigenartigen, sonderbaren, seltenen und merkwürdigen (PQRS-Symptome: peculiar, queer, rare, strange) konzentriert. Hahnemann hat dies nirgendwo gesagt. Er fordert von uns, jeden Krankheitsfall zu individualisieren, und er sagte uns, dass die mentalen und emotionalen Symptome und die PQRS-Symptome oft die Wichtigeren sind. Nirgendwo aber hat er gesagt, dass man die Informationen und das Wissen über die Krankheit nicht verwenden darf. Die Leute glauben, dass es ein Verbrechen ist, wenn man in der klassischen Homöopathie über die ‚Krankheit’ nachdenkt. Sie müssten nur über den ‚Fall’ nachdenken. Sie vergessen dabei, dass, gäbe es keine Unbehaglichkeit, keine Krankheit, es auch keinen Fall gäbe!

Im nächsten Paragrafen wiederholt jetzt Hahnemann die Wichtigkeit der Symptomenähnlichkeit und er legt uns auch die Tatsache dar, dass die Potenz und die Verdünnung gleichfalls von großer Bedeutung sind. Lesen wir, was er schreibt:

25 - Nun lehrt aber das einzige und untrügliche Orakel der Heilkunst, die reine Erfahrung1, in allen sorgfältigen Versuchen, daß wirklich diejenige Arznei, welche in ihrer Einwirkung auf gesunde menschliche Körper die meisten Symptome in Aehnlichkeit erzeugen zu können bewiesen hat, welche an dem zu heilenden Krankheitsfalle zu finden sind, in gehörig potenzirten und verkleinerten Gaben auch die Gesammtheit der Symptome dieses Krankheitszustandes, das ist (s. §. 6-16), die ganze gegenwärtige Krankheit schnell, gründlich und dauerhaft aufhebe und in Gesundheit verwandle, und daß alle Arzneien die ihnen an ähnlichen Symptomen möglichst nahe kommenden Krankheiten, ohne Ausnahme heilen und keine derselben ungeheilt lassen.

1 Ich meine nicht eine solche Erfahrung, deren unsere gewöhnlichen Practiker alter Schule sich rühmen, nachdem sie Jahre lang mit einem Haufen vielfach zusammengesetzter Recepte gegen eine Menge Krankheiten gewirthschaftet haben, die sie genau untersuchten, sondern sie schulmäßig für schon in der Pathologie benannte hielten, und in ihnen einen (eingebildeten) Krankheitsstoff zu erblicken wähnten, oder eine andere hypothetische, innere Abnormität ihnen andichteten. Da sahen sie immer etwas, wußten aber nicht, was sie sahen; Erfolge, die nur ein Gott und kein Mensch aus den vielfachen, auf den unbekannten Gegenstand einwirkenden Kräften hätte enträthseln können, Erfolge, aus denen nichts zu lernen, nichts zu erfahren ist. Eine fünfzigjährige Erfahrung dieser Art ist einem fünfzig Jahre langen Schauen in ein Kaleidoscop gleich, was, mit bunten, unbekannten Dingen angefüllt, in steter Umdrehung sich bewegt; tausenderlei sich immerdar verwandelnde Gestalten und keine Rechenschaft dafür!

Hahnemann macht in diesem Paragrafen eine Reihe wichtiger Aussagen.

1. Die reine Erfahrung in der Anwendung geprüfter Arzneien ist das wahre und einzige Wissen für die Heilkunst,

2. Eine Arznei, die die größtmögliche Zahl ähnlicher Symptome während einer Arzneimittelprüfung am Gesunden entwickelt hat, wird die Gesamtheit der Symptome eines erkrankten Zustandes beseitigen.

3. Um am besten wirken zu können, muss die Arznei in der angemessenen Potenz und Verdünnung verabreicht werden, das ist, um schnell, sanft und dauerhaft heilen zu können. Das ist wiederum von großer Bedeutung, weil viele modernen Lehrer behaupten, dass die Potenz und die Gabe von geringer Bedeutung sind und es die Ähnlichkeit sei, die einzig zählt. Da behandeln Leute jeden Fall mit einer C 30 oder einer C 1000. Diese Leute sollten nochmals das Organon lesen.

4. Um es jetzt nochmal klarer zu machen – Hahnemann hat gesagt, dass ein erkrankter Zustand schnell, ganz und dauerhaft beseitigt werden kann – WENN man von der ausgewählten Arznei weiß, dass sie sehr ähnliche Symptome bei einer Arzneiprüfung entwickeln kann, UND wenn sie in geeignet potenzierter und verdünnter Gabe verabreicht wird. Das lässt darauf schließen, dass, je ähnlicher eine Arznei ist, desto rascher die Heilung erfolgen wird. Aber ‚Ähnlichkeit’ ist ein relatives Wort. Es könnte viele Arzneimittel mit unterschiedlichen Graden der Ähnlichkeit für einen bestimmten Fall geben. Somit lässt sich auch darauf schließen, dass, je geringer die Ähnlichkeit ist, umso langsamer der Erfolg eintreten wird – aber es kann immer noch einen Erfolg geben! Natürlich darf das Mittel nicht völlig daneben liegen. Sonst gäbe es keine Ergebnisse. Das erklärt, weshalb es sogar mit nur teilweise ähnlichen Arzneien zu akzeptablen Ergebnissen kommen kann. Eine weitere logische Folgerung ist, dass, wenn das Mittel weniger ähnlich ist, das Ergebnis nicht ‚gründlich’ und ‚dauerhaft’ sein dürfte. Ein solches Mittel wird nur in der Lage sein, zu lindern oder ein paar Symptome zu beseitigen, aber es wird nicht den Patienten als Gesamtheit heilen. Daher wird unser Erfolg von dem Grad der Ähnlichkeit abhängen. Wenn das Arzneimittel das ‚Simillimum’ ist, dann werden wir eine gründliche und dauerhafte Heilung erleben. Wenn es sich um ein sehr ähnliches Simillimum handelt, kann es uns noch gelingen, zu heilen, wenn auch nicht so rasch wie es ideal wäre. Und wenn es noch weniger ähnlich ist, dann werden wir nur lindern können oder nur einen Teil der Symptome entfernen.

5. In diesem Paragrafen sagt er auch noch, dass, wenn die Symptome in ihrer Gesamtheit entfernt worden sind, kein Teil der Krankheit mehr zurückbleibt und die Gesundheit wiederhergestellt ist. Diese Zeilen wurden geschrieben, um den Behauptungen mancher Leute zu begegnen, die gerne sagten, dass durch die Verwendung homöopathischer Arzneimittel die Symptome verschwinden können, nicht aber die ihnen innewohnende Krankheit. Hahnemann hat an vielen Stellen klar gemacht, dass die Symptome die Sprache der Krankheit sind. Die Symptome sind der Indikator für die innewohnende Disharmonie. Gibt es keine Symptome, dann bedeutet das nur, dass die Krankheit in ihrer Gesamtheit geheilt worden ist, und dass die Gesundheit des Patienten wiederhergestellt ist.

Wir haben gesehen, dass uns Hahnemann in diesen Paragrafen ausführlich über das Wissen der Arzneien gelehrt hat. Wir werden diese Erörterung nächsten Monat fortsetzen, wenn wir das Naturgesetz der Heilung untersuchen werden und um herauszufinden, weshalb wir in Krankheit für unsere Arzneien empfänglicher sind. Versuchen Sie bis dahin, diese Lektion in sich aufzunehmen.

----------------------------------------

Dr. Manish Bhatia